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Woher wir kommen
1989: Die Mauer fällt, die Sowjetunion ist endgültig am Boden, und in einer verschlafenen Gegend der noch westdeutschen Republik kommen ein paar Leute auf die Idee, linke Politik an der Hochschule neu zu organisieren. Anlass dazu war nicht nur die Abwesenheit einer linken Alternative an der Hochschule jenseits von Grünen und Jusos, sondern auch die Tatsache, dass sich mit dem vorangegangenen Hochschulstreik an der Hochschule und in den Köpfen wieder etwas bewegte.
Die DLL erblickt das Licht der Welt, und Leute aus unterschiedlichen politischen Spektren schließen sich zusammen, weil sie partout nicht einsehen, dass es keine Zukunft für sozialistische Politik geben soll.
Und siehe da: Auf Anhieb gewinnt die DLL die Wahlen zum Studierendenparlament (StuPa) und kann bis Ende 1990 den AStA stellen. Danach holt uns die Wirklichkeit wieder ein, und wir werden von einem Bündnis aus Grün-Alternativen und Konservativ-Liberalen abgelöst. Es geht ab wie bei den Großen: Nach wilden Versprechungen (mit Pragmatismus mehr erreichen und die ganze Leier eben) wird die Karre richtig in den Dreck gefahren. Mangels politischer Positionen können sich die Pragmatinnen und Pragmaten auch nicht auf solche einigen, und irgendwann geht gar nichts mehr. Zwei Jahre lang gibt es keinen gewählten AStA, und die Studierenden stehen oft genug vor verschlossenen Shop- und Bürotüren.
Uns öffnen sich diese Türen wieder im Februar 1994, nachdem der konservativ-alternativ-liberale Block sein Scheitern eingestehen muss. Nach eindrucksvollen Abschiedsreden kommt es zur Amtsübergabe an die DLL und die Fachschaftslisten, mit denen wir im StuPa zusammenarbeiten. Bei Arbeitsbeginn stehen wir zunächst einem riesigen Altlastenberg gegenüber. Kontakte wurden neu geknüpft, Verträge überarbeitet, die Finanzen konsolidiert, das Shop-Angebot erweitert und die Preise, wo es möglich war, gesenkt. Die Büro-Öffnungszeiten für die Studierenden wurden auf täglich acht Stunden ausgedehnt, die Sozialberatung ausgebaut, das Semesterticket stabilisiert und der Geltungsbereich ausgeweitet. Nach fast vier Jahren DLL-AStA schien es fast selbstverständlich geworden, dass das Zentralorgan der Verfassten Studierendenschaft effektiv und kontinuierlich arbeitet.
Da wurde es für die anderen Listen im StuPa immer nahe liegender, dass sie jetzt aber auch mal in den schönen Laden rein möchten und dann aber ganz pragmatisch loslegen und sich endlich um "studentische" Belange kümmern und nicht mehr um... ja, was die Linken halt immer so machen, Revolutionen und so was. AStA-Arbeit macht sich auch gut im Lebenslauf, und deswegen wurde programmatisch auf den Tisch gehauen: "konkrete" Verbesserungen erreichen statt "abstrakte" Forderungen stellen und so weiter und so weiter.
Leicht geht solches von den Lippen, aber leider werden konkrete Verbesserungen für Studierende nur selten dadurch erreicht, dass man sie konkret möchte. Meist ist dazu hartnäckige Arbeit in verschiedenen Gremien erforderlich, die sowohl einer gewissen Koordination bedarf als auch des "abstrakten" Reflektierens, was denn erreicht werden soll und was die Konsequenzen des Erreichten wären. Vor dem Entschluss zur "konstruktiven" Mitarbeit sollte es immer Klarheit über den Charakter der Konstruktion geben, und um diese zu erlangen, bedarf es einer erweiterten Perspektive.
Doch es kam, wie es wohl kommen sollte: Der DLL-AStA wurde von einem bürgerlichen Bündnis aus RCDS, LHG und "Abakus" auf der Brücke abgelöst. Zur Bilanz der dort dann im Februar 2000 vorgefundenen Verwüstung möchten wir hier nur soviel sagen, dass es wieder einmal die DLL - mit sozialistischen Schwesterorganisationen und Juso-HG - war, die auch diesen Karren wieder aus dem Dreck zog. (Kontakte wurden neu geknüpft, Verträge überarbeitet, die Finanzen konsolidiert usw, s. o.)
Die DLL hat von Anfang an die Arbeit des AStA mit der Arbeit der Autonomen Referate, der Fachschaften und mit linker Politik in Stadt und Region verknüpft. Seit Jahren bildet die DLL einen Diskussionszu-sammenhang aus Linken, die in den unter-schiedlichsten Gremien der Verfassten StudentInnenschaft arbeiten. Wir haben mitgeholfen, die Autonome Fach-schaftenkoordination (AFSK) wieder aufzu-bauen und unterstützen eine Koordinierung der studentischen VertreterInnen in Senat, im Verwal-tungsrat des Studentenwerks und den ständigen Kommissionen. Die DLL steht für die Autonomie der Fachschaftsräte und Referate an der Hochschule ein (und zwar auch für die finanzielle Autonomie).
Fachschaften und Autonome Referate arbeiten als Basisbewegungen und ohne Machtkalkül, sie sind von Mehrheitsverhältnissen im StuPa unabhängig. Ihre Finanzierung, vor allem die Zuweisung von Selbstbewirtschaftungsmitteln, ist keineswegs selbstverständlich und eine der Haupterrungenschaften der Studierendenschaft an der Gesamthochschule Siegen. Das muss so bleiben: Basisarbeit darf nicht an den Interessen karrieregeiler JungpolitikerInnen (beispielsweise von JuLi, Junge Union & Co.) scheitern.
Wir beteiligen uns an Aktionen in der Stadt und bemühen uns auch hier um Vernetzung. Ausdruck dieser Bemühungen sind zum Beispiel der Rote 1. Mai und, weil Politik durch den Magen geht, die 14-tägige Volxküche der DLL im VEB Politik, Kunst und Unterhaltung. Im VEB findet auch alljährlich die DLL-Sommerschule statt, ein Ort der theoretischen Auseinandersetzung.
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Unser Politikbegriff
Gerade im Bereich Sozialpolitik wird deutlich, dass die Trennung zwischen hochschulpolitischem und allgemeinpolitischem Mandat eine künstliche ist. Dass am BAföG herumgestrichen wird, liegt nicht daran, dass diese Förderung immer unbezahlbarer würde. Der Staat wendet heute wesentlich weniger Fördermittel auf, als in den 70ern gezahlt wurden.
Vielmehr haben führende gesellschaftliche Kräfte kein Interesse mehr an einem breiten gesellschaftlichen Zugang zur höheren Bildung. Entsprechend ist der Anteil von Frauen und Arbeiterkindern an den Hochschulen seit einigen Jahren rückläufig.
Die zahllosen Thesenpapiere, Symposien, Diskussionsrunden und Programme zu Situation und Entwicklung der Hochschulen haben ihren Grund nicht im kurz bevorstehenden Kollaps, einer nationalen Bildungskatastrophe, in mangelhafter Effizienz oder gar dem sicheren Untergang der hiesigen Hochschulen in der gnadenlosen internationalen Standortkonkurrenz. Dergleichen mag viel beschworen werden. Das Geklingel ist aber nur Ausdruck einer Situation, in der im Rahmen gesellschaftlicher Umbrüche auch der Stellenwert universitärer Bildung und Ausbildung zur Disposition gestellt und entsprechend umkämpft ist.
"Studentische" Politik kann von "allgemeiner" Politik so wenig getrennt werden wie der Student oder die Studentin von seiner sonstigen sozialen Existenz als JobberIn, als ArbeitssuchendeR nach dem Diplom, als SteuerzahlerIn, als Elternteil oder als AngehörigeR einer diskriminierten Bevölkerungsgruppe. Damit wird auch die Vorstellung etwas merkwürdig, studentische Politik solle sich auf die Vertretung studentischer Interessen konzentrieren, also ständisch sein. Es sollte banale Selbstverständlichkeit sein, bezahlbaren Wohnraum und soziale Absicherung nicht nur für Studierende zu fordern. Es sollte selbstverständlich sein, sich nicht damit zufrieden zu geben, nur diese kleine, privilegierte Gruppe per Semesterticket billig Bus und Bahn fahren zu lassen. Leider gibt es aber unter StudierendenvertreterInnen eine gewisse Betriebsblindheit, doch gerade in der Frage der gesamtgesellschaftlichen Orientierung hat sich die DLL in der Vergangenheit deutlich von anderen sich "links von der Mitte" sehenden Kräften abgegrenzt.
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Grundwerte
Dabei ist der Widerspruch von studentischer Interessenvertretung und gesamtgesellschaftlicher Orientierung kein unaufhebbarer, sondern Ausdruck eines produktiven, dialektischen Verhältnisses. Die DLL als politische Richtungsorganisation formuliert eine radikale Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und versucht, eine alternative Praxis zu entwickeln. Erster Ansatzpunkt, sowohl für die Kritik als auch für den Versuch der alternativen Praxis, ist für uns als Studierende der politische Raum, in dem wir uns bewegen, nämlich die Hochschule. Dort versuchen wir, unseren radikalen Ansprüchen gerecht zu werden. Radikale Ansprüche? Da wir als Linke hier wie anderswo den gesellschaftlichen Trend nicht auf unserer Seite wissen, eint uns vor allem die Ablehnung der unerfreulichsten dominierenden Gegenwartserscheinungen. Grundlage unserer Politik ist daher ein negierender Konsens: Antikapitalismus, Antisexismus, Antirassismus. Mit unseren bescheidenen Möglichkeiten versuchen wir, diesen Werten ein größeres Gewicht zu verleihen.
Der politische Raum besteht aber für Studierende nur, weil Studierende sich politisch organisiert haben und kann nur existieren, solange ihre Interessen sich in ihrer politischen Organisation artikulieren. Im und für den politischen Raum zu handeln, kann insofern gar nichts anderes heißen, als konsequente InteressenvertreterInnen der Studierenden zu sein.
Diese Dialektik zwischen politischer Richtungsorganisation und Intereressenvertretungsanspruch erkannt zu haben und an der Synthese zu arbeiten, ist wohl die zentrale Leistung der DLL seit 1989.
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